22.09.2001

Erz mit dem Grubenpferd transportiert

Baustart für Kronprinz-Friedrich-Wilhelm-Erbstollen vor 175 Jahren / Bedeutsamer Bau

sz Kreuztal. Vor 175 Jahren, am 16. August 1828, wurde das damals bedeutsamste Bauvorhaben im nördlichen Siegerland, der Martinshardter-Tief-Revierstollen (später Kronprinz-Friedrich-Wilhelm-Erbstollen) mit einer Rede des Oberbergrates Dr. Johann Phillip Becher (1752-1831) offiziell begonnen. Die Planungen zur Entwässerung der damals sehr bedeutenden Gruben an der Martinshardt - insbesondere der berühmten Grube Stahlberg in Müsen - durch einen tief liegenden Wasserlösungsstollen sind jedoch schon in der Zeit der nassau-oranischen Landesherrschaft nach 1780 nachweisbar. Die ab 1815 neue preußische Landesregierung setzte dieses Vorhaben nun in die Tat um. Damit sollte der Betrieb der Gruben für Jahrzehnte gesichert werden.

Der Ansatzpunkt unterhalb von Ernsdorf gewährleistete von allen in Aussicht genommenen Streckenführungen die größte erreichbare Stollentiefe (144 m Sohle der Grube Stahlberg) bei einem höchsten Wasserstand des Baches Ferndorf. Vom Mundloch an wurde der Verlauf nicht ganz in Luftlinie geplant, sondern nach dem Aufschluß bereits existierender Gruben an der Martinshardt, knickte er dort östlich in Richtung Stahlberg ab. Drei Lichtlöcher (Wetterschächte) zur Belüftung waren vorgesehen. Der Stollen selbst hat eine Höhe von 3,3 m (davon 1 m für die Rösche (Wasserrinne unter dem Gehweg) und eine Breite von 1,5 m.

An Baukosten waren 125 000 preußische Taler für den ca. 4050 m langen Stollen von Ernsdorf nach Müsen veranschlagt. Demgegenüber wurde ein erhoffter Ertrag aus allen Gruben von 419 956 preußischen Talern angesetzt (der Verdienst eines Bergmanns (Hauer) lag im Jahr 1857 pro Schicht etwa bei 10 Silbergroschen = 1/3 preußische Taler). Hinzu kam ein individueller Nutzen wie die Sicherung der Arbeitsplätze (1860 beschäftigte die Grube Stahlberg allein 360 Personen), mittelbare Aufträge, z. B. an die Forstwirtschaft (Holz- und Kohlenabsatz an die den Gruben angeschlossenen Hütten, Unabhängigkeit des Landes hinsichtlich der Stahlproduktion, das Verbleiben des Geldes im Land (das Landeskapital wird nicht durch einen notwendigen Stahlimport verringert).

Die Bauzeit wurde auf 86 Jahre geschätzt. Dies entspricht einem Vortrieb von durchschnittlich 45m pro Jahr bzw. 3,7 m pro Monat entspricht. Von vier Stellen wurde der Stollen in der letzten Bauphase vorangetrieben: 1. aus Richtung Ernsdorf in Richtung Müsen, 2. von einem Hilfsgesenk (Blindschacht) im westlichen Teil des Prinz-Wilhelm-Flügelortes der Grube Stahlberg in Richtung Ernsdorf, 3. von besagtem Hilfsgesenk in Richtung Stahlberger-Schacht in Müsen und 4. vom Stahlberger-Schacht in Richtung Prinz-Wilhelm-Flügelort. Der Durchschlag erfolgte schon am 8. Juni 1875 nach 49 jähriger Bauzeit. Somit betrug der durchschnittliche Vortrieb tatsächlich 75 m pro Jahr bzw. 6,3 m pro Monat.

Mit dem Erbstollen konnte ein weiteres Erzlager an der Westseite der Martinshardt abgebaut werden. Aus dieser Zeche Wilhelm wurde das Erz mittels eines Grubenpferdes durch den neuen Erbstollen nach Ernsdorf transportiert. Als Betriebsführer war der Ernsdorfer Steiger Johann Heinrich Krämer (1820-1887) eingesetzt. Leider war das Lager schon 1877 erschöpft.

Ebenso erwies sich der berühmte Stahlberger Stock um diese Zeit in Höhe des neuen Erbstollens unerwartet als "unbauwürdig" und war auch trotz intensiver Suche in größerer liefe nicht mehr auffindbar. Der Grubenbetrieb des Stahlbergs konnte in den folgenden Jahren durch den Abbau von kleineren Erzvorkommen unterhalb der Revier-Erbstollensohle und in einigen Nebenbereichen leidlich aufrechterhalten werden. 1906 entdeckte man ein größeres abbauwürdiges Lager im Bereich der zugeordneten Schwabengrube in 304 m liefe. Dieser  "Neue Stahlberg" erhielt 1916-1918 sogar eine zweite Schachtanlage, musste schließlich wegen der Erschöpfung der Vorräte in einer Tiefe von 660 m am 31. 3. 1931 - wie auch die anderen Gruben an der Martinshardt schon Jahre zuvor - endgültig aufgegeben werden.

Der Kronprinz-Friedrich-Wilhelm-Erbstollen wurde von den Kreuztaler Bergleuten auch nach 1877 als kürzeste Verbindung zur Grübe Stahlberg genutzt. Eine untertägige Befahrung ist allerdings heute nicht mehr möglich, da der Stollen im hinteren Teil eingebrochen ist. Er diente im 20. Jahrhundert der Wasserversorgung der Gemeinde Kreuztal und wurde, bis in die 90er Jahre als Notwasserreservoir für die Stadt Kreuztal vorgehalten. Im Zweiten Weltkrieg wurde im Bereich Ernsdorf (Dörrwiesenstraße) eine 20 m tiefe Treppe zum Stollen gebaut, um diesen als Luftschutzbunker zu nutzen. 1998 gab es Bestrebungen, das Stollenmundloch durch einen Betonpfropfen zu verschließen, um damit einen unbefugten Zugang für alle Zeiten auszuschließen. Man einigte sich schließlich auf den Einbau von zwei zusätzlichen einbruchssicheren Türen, so dass notwendige Sicherheitskontrollen im Innern weiterhin möglich sind. Auch heute fließt ein Teil der Wasser der Martinshardt durch die Rösche des Kronprinz-Friedrich-Wilhelm-Erbstollens zur Ferndorf ab.

Ortwin Brückel