22.12.2001

Von Sagen und Legenden umwoben

Kindelsberg hieß „Berg des Christuskindleins" / Beliebter Rastplatz

Wer von den Siegerländern kennt ihn nicht, den sagenumwobenen Kindelsberg mit seinen beiden Wahrzeichen? Es ist der hochragende steinerne Aussichtsturm, von dem man bei klarem Wetter Burgen am Rhein sehen kann, und die neben diesem stehende Kaiserlinde.

Bereits vor 4000 Jahren haben Jäger die Urwälder vom Kindelsberg durchstreift und nach Beute gesucht. Es waren nomadisierende Hirten- und Jägervölker, die ihre Spuren hinterließen und später hier auch ihre Viehherden geweidet haben. Etwa 600 Jahre vor der Menschwerdung des Herrn, also in der ältesten Eisenzeit, kamen die Kelten aus Südfrankreich und wurden u. a. an den Ausläufern vom Kindelsberg sesshaft. Sie ernährten sich von der Viehzucht, dem Ackerbau und der Jagd. Zu dieser Zeit haben sie aber auch an den Berghängen den zutage tretenden Eisenstein entdeckt und versucht, ihn zu verarbeiten. Es wird bestimmt der Grund gewesen sein, warum sie gerade hier ihr Domizil aufschlugen.

Wahrscheinlich 500 bis 400 Jahre vor Christi Geburt baute man auf dem Gipfel vom Kindelsberg eine Wallburg mit einem Durchmesser von 95 Schritten. (Anm. d. Red.: Über Art und Alter der Wallburg gibt es verschiedene Theorien - siehe Mittelalterliche Wallanlage am Kindelsberg). Ihr Umfang betrug einige hundert Schritte und sie gehörte zu den sechs Fliehburgen, die im Siegerland gebaut worden sind. Die bekannteste und größte von ihnen ist die Alte Burg bei Afholderbach. Ihr gegenüber bei Netphen liegt noch eine weitere kleine. Dann gab es noch eine Fluchtburg auf dem Ginsberg bei Grund sowie eine unvollendete auf dem Burgberg, wovon Burbach seinen Namen erhielt. Die sechs­te umschirmte ehemals den Gipfel des Hohenseelbachskopfs und ist schon vor 100 Jahren den Basaltsteinbrüchen zum Opfer gefallen. Leider sind die Siegerländer Volksburgen, die bei Feindeseinfällen Schutz für Mensch und Tier boten, nie ausführlich erforscht worden.

Vermutlich um 200 vor der neuen Zeitechnung kamen aus dem Osten die Germanen nach hier und vertrieben die Kelten bis weit über den Rhein. Immer war der Kindelsberg etwas Besonderes. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Germanen, um ihren mächtigen Gott Wodan zu ehren, diesen Berg Wodansberg nannten. Erst in der christlichen Zeit, etwa 800 bis 900 Jahre nach der Zeitenwende, ist der Name Kindelsberg entstanden. In alten Unterlagen fand ich, dass dies "Berg des Christuskindleins" bedeutet. Die Ehre, die man den Göttern gegeben hat, wollten die späteren Christen auch Christus geben. So ist es durchaus möglich, dass der Name „Berg des Christuskindels“ zuerst da war, und wegen der langen Schreibweise in Kindelsberg geändert wurde. Die zum christlichen Glauben übergegangenen Menschen bauten an den Orten, wo sie früher ihre Götter verehrten, eine Kapelle oder einen Tempel. So soll auf dem Kindelsberg im Jahre 1000 eine Glocke vorhanden gewesen sein, die ihre Spuren der Nachwelt hinterlassen hat.

Dem jungen Schulmeister Jung Stilling ist 1756 auf dem Giller vom Bauern Kraft aus Lützel eine Sage vom Kindelsberg erzählt worden. Zum Schluss sagte der Bauer: „Ich kann auch noch ein Lied von diesem Berg." Stilling meinte: „Ich bitte Euch Kraft, singt mir doch das Lied vor." Kraft antwortete: „Das will ich gerne tun, ich will Dir's singen." Und er begann: „Zum Kindelsberg auf dem hohen Schloss, steht eine alte Linde, von vielen Ästen kraus und groß, sie saust am kühlen Winde…" Es folgten noch 14 Strophen. Jung war von Melodie und Geschichte so begeistert und mitgenommen, dass ihm das Herz pochte.

Er besuchte den Bauern nun häufig, der ihm das Lied so oft vorsang, bis Stilling es auswendig konnte. Diese sagenhafte, uralte Linde muss 1815 noch gestanden haben, denn Joh. Heinrich Wurmbach pflanzte in diesem Jahr einen Ableger von ihr in der Winterbach bei Dahlbruch.

Zu allen Zeiten hat dieser 618 Meter hohe Kindelsberg die Menschen fasziniert und angezogen. Darum hat auch kein Gipfel im Siegerland so viele Sagen und Legenden hervorgebracht wie diese Höhe zwischen Müsen und Littfeld. „Es geht eine Sage bei uns zu Land: Ein Schloss auf dem ragenden Berge stand. Darinnen wohnte ein Jungfräulein wie lauter Rosen und Sonnenschein.“ Beginn eines Liedes bzw. Gedichts, das 14 siebenzeilige Strophen hat. „Unter dem Stein neben der Linde schläft eine Jungfrau den ewigen Schlaf. Sie blieb ihrem Ritter treu, dem Grafen der Mark. - Siehst du dort die Spitze vom Kindelsberg? Sie reicht fast in die Wolken des Himmels." Beginn aus der sprechenden Glocke vom Kindelsberg. - Vom Gipfel des Kindelsbergs in südöstlicher Richtung liegt ein großer Steinhaufen. Hier soll ein Schatz aus dem Altertum (von einem Hund bewacht) begraben sein. - Und noch heute heult bei Nacht der Racheengel um die Stätte, auf der sich einst das stolze Schloss derer vom Kindelsberg erhob. Aus „der Untergang der Kindelsburg".

Die Anschläge auf Kaiser Wilhelm I. sind 1878 zweimal erfolgreich abgewehrt worden. Zum Andenken an diese Errettung pflanzte man am 20. Oktober des Jahres unter großer Beteiligung der Bevölkerung eine Kaiserlinde auf der Spitze des Kindelsbergs. Um die Gedenklinde ist ein schmiedeeisernes Gitter gesetzt worden, was heute noch zu sehen ist.

Am 26. Mai 1907, es war der Himmelfahrtstag, konnten mehrere tausend Wanderer aus nah und fern die Einweihungsfeier des 23 Meter hohen Aussichtsturms erleben. Um den Turm herum war ein überdachter, offener Rundgang mit Ruhebänken. Eine steinerne, 123 Stufen hohe Wendeltreppe ermöglichte den Aufstieg zur verglasten Rundumsicht. Eine kleine Eisentreppe führte noch weiter zur offenen Freisicht. In 640 Meter über dem Meeresspiegel hatte man eine ausgezeichnete Fernsicht.

Trotz aller Freude kamen auch finanzielle Sorgen auf, denn die Bausumme von 18000 Mark war doppelt so hoch wie geplant. Mit dieser Summe konnte man damals immerhin fünf Wohnhäuser bauen.

Im Jahre 1953 wurde ein Rasthaus neben dem Turm gebaut. Auch die Bundespost zeigte bald Interesse am Turm, und es wurden technische Einrichtungen für den Telefon-, Radio- und Fernsehbetrieb angebracht. Das Gasthaus erhielt eine Autozufahrt und Strom. Auch der SGV war damit von vielen finanziellen Sorgen entlastet. Der Betrieb nahm immer mehr zu, und so wurde das Rasthaus 1989 vergrößert. Zu allen Jahreszeiten gilt dieser Turm als beliebtes Ausflugsziel.

Heinz Bensberg