02.08.2005

Von Drachen, "Knützen" und Schnecken

Kreuztal-Ferndorf. Zeit ihres Lebens haben sie im Verein, in der Kommunalpolitik, als engagierte Bürger am Gesamtkunstwerk Ferndorf mitgearbeitet. Jetzt, im Ruhestand, halten sie die Erinnerungen an frühere Zeiten wach und verfolgen aufmerksam die neuen Entwicklungen: die „lrlenhecker Knütze".

24 Männer bilden den engen Kreis der „Knütze". die sich - außer an Feiertagen - ganzjährig jeden Donnerstag in Irlenhecken treffen Als sie noch im Beruf aktiv waren, gab es vielleicht nicht sehr viele Berührungspunkte. Aber durch die gemeinsame Arbeit in Turnverein, im SGV, im Verein zur Pflege der Dorfgemeinschaft wirkten sie an so vielen gemeinsamen Projekten mit, dass der Gesprächsstoff nie ausgeht. 1987 beschlossen sie, sich einen Namen zu gehen und sich fortan regelmäßig zu treffen.

„Ja nodda" heißt der Trinkspruch, wenn eine Runde mit klarem Schnaps ausgeschenkt wird - ein Ritual, das die Ferndorfer Männer pflegen, so wie ihre mehrere Generationen übergreifende Sicht der jüngeren Geschichte dieses alten Dorfes. 1067 wurde es erstmals erwähnt; keiner der „Knütze" hat gefehlt, als 1967 das große Jubiläum gefeiert wurde. Auch Gerhard Hauptmann war dabei, der nach dem Krieg aus Schlesien kann, sich integrierte und unter den Ur-Ferndorfern als vollwertiger „Knutz" anerkannt ist. Das gilt übrigens auch für zwei Ernsdorfer.

Zum Jubiläum richtete Erich Scheuermann eine Heimtstube in der alten Schule ein, die später die Anerkennung als Museum bekam. Mit Rolf Crevecoeur und Karl Saßmannshausen, die beide „Schifferklavier" spielen, so wie Walter Otto (Trommel) bildet Scheuermann das musikalische Knütze-Quartett; er selbst bedient Pauke und Becken. Chef der „Knütze" ist der älteste: Fritz Crevecoeur ist schon 88. Treffpunkt ist stets das Dorfgemeinschaftshaus, das übrigens von den jüngeren „Hüttenbrüdern" in Schuss gehalten wird. Von dort starten die „Knütze" zu ihren Exkursionen, die mal auf den Kindelsberg, zur Oberndorfer Höhe oder auch schon einmal in eine Brauerei führten.

Meistens aber sitzen sie in gemütlicher Runde in Irlenhecken, wo sie die Geschehnisse der letzten Woche, des Tages reflektieren oder auch diskutieren, was die Zukunft bringt. Manche Veränderungen beobachten sie kritisch. Aber darüber sollen andere sich den Kopf zerbrechen.

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Auffällig genug war er ja, der Drache „Grisu", den der TuS Ferndorf beim großen Feuerwehrfestzug vor sechs Wochen mitführte. Ersonnen und verwirklicht hat ihn die Leichtathletikabteilung, die im April den Entschluss fasste, sich mit der Pappmache-Figur beim Festzug einzubringen. Sechs Wochen arbeiteten Männer und Frauen in ihrer Freizeit an dem dreieinhalb hohen Fabeltier (mit Helm), das einer Bilderbuchfigur nachempfunden wurde: Grisu, der Feuer speiende Drache, wollte immer Feuerwehr-Mann werden, erinnert sich Heidi Werthenbach, Übungsleiterin der Leichtathleten und Ehefrau des Feuerwehrchefs. Was lag da näher, als eine solche Märchenfigur zum Feuerwehrjubflaum nachzuhauen?

Das Grundgerüst wurde aus Holz gemacht, darüber kam ein Geflecht aus Kaninchendraht, über das die Pappe gelegt wurde. Sechs starke Männer brauchte es, um „Grisu“ zu heben. Erst recht nach dem Festzug, als das voluminöse Tier ja eigentlich keine Verwendung mehr hatte: „Zu schade zum Verbrennen", fand die Feuenwehr-Löschgruppe und steIIte sich „Grisu" als Blickfang aufs Dach ihres Gerätehauses, wo er Wache hielt, Sturm und Wind ausgesetzt war. Und das wurde ihm auch zum Verhängnis: Beim Unwetter am vorigen Donnerstag hob es ihn „in Nachbars Garten". Das überlebte er nicht.

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87 Jahre und immer noch ein Energiebündel: Anneliese Siebel ist die „Kuchenbäckerin von Ferndorf". Fast täglich steht sie in der Küche und rührt Kuchen und Torten an. Nicht nur, weil sie selbst gerne Süßes isst, sondern auch um Menschen aus der Nachbarschaft, Freunden, Bekannten und Verwandten eine Freude zu machen. Anneliese Siebels KaffeetafeI, die auch schon mal 18 Personen umfassen kann, ist legendär. Es gibt stets eine große Auswahl an Obstkuchen und Sahnetorten, deren Rezepte die rüstige alte Dame aus dem Eff-Eff beherrscht. Obst der Saison wie Himbeeren holt sie aus dem eigenen Garten, der in der kleinen Nebengasse hinter dem Feldhof liegt, wo Anneliese Siebel und ihre Familie ein teilweise denkmalgeschütztes Haus aus dem 16. Jahrhundert bewohnt. Direkt hinter dem Haus hat sie ihren Ziergarten - voller verschiedener Blumen und Sträucher. Und in beide geht Anneliese Siebel schon am frühen Morgen, um in diesem Sommer der Schneckenplage Herr zu werden: Darüber führt sie sogar Buch. Sonst wüsste sie nicht, dass sich am 19. Juni - in beiden Garen zusammen - 274 dieser schleimigen Kriecher über ihre Blumen und Beete hergemacht hatten.

Buch führt Anneliese Siebel aber auch über ihre Kaffeerunden. Weil mit 87 das Gedächtnis nicht immer zuverlässig ist, schreibt sie auf, wer dabei gewesen ist, wer gar ein Gastgeschenk mitgebracht hat: „Damit ich auch etwas mitnehme, wenn ich eingeladen werde." Clou ihrer Küchennachmittage ist allerdings ihre Diaschau. Anneliese Siebel hat Projektor und Leinwand stets aufgebaut und unterhält ihre Gaste mit vielen Motiven, die sie auf ihren zahllosen Unternehmungen aufgenommen hat – in europäischen Ländern und in der Heimat. Unterwegs ist sie jetzt seltener, denn derzeit braucht sie eine Gehhilfe. Beim letzten Krankenbesuch, als sie mit dem Fahrrad unterwegs war, um Kuchen zu bringen, stürzte sie. Aber das ist fast schon wieder vergessen.