11.03.2008

Gemeinschaftsgrundschule Kreuztal bietet vielfältige Hilfen an

Erich Hofmann stand vor einer schweren Entscheidung: Sollte er die offiziellen Wege einhalten oder einfach nur helfen? Er wählte eine pragmatische Lösung, um den seit Tagen nicht mehr gesehenen Schüler an die Schule zurückzuholen.

„Wir müssen uns von den vorgegebenen Regularien lösen können”, lautet Hofmanns Überzeugung. Nur so könne heute eine Schule wie seine funktionieren: die Gemeinschaftsgrundschule im Herzen von Kreuztal am Ziegeleifeld. Von 260 Kindern haben 60 Prozent einen so genannten „Migrationshintergrund” - der höchste Anteil in einer Schule der Stadt. Jungen und Mädchen aus 18 Nationen sind vertreten. Ab dem Sommer werden zwei von drei Kindern eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeit haben.

Elternbriefe werden mittlerweile deutsch, russisch, türkisch und arabisch verfasst, um die Erziehungsberechtigten zu erreichen. Zum Beispiel die Einladung für das neue „Marktcafe´” in der Mensa, das von einer Lehrerin aus Russland betreut wird, die der Förderverein für einen Minilohn beschäftigt. Unterstützung wird sie von der Anerkennungspraktikantin bekommen, die derzeit bei der Offenen Ganztagsgrundschule tätig und Türkin ist. Das Marktcafe´, das die Schule als neues Projekt am letzten Donnerstag eines jeden Monats plant, soll ein „niederschwelliges” Angebot an Eltern sein, die mit dem Schulsystem nicht zurechtkommen. Von dort werden sie auch an Beratungsstellen vermittelt.

Dies ist nur ein Baustein im Gesamtkonzept der Gemeinschaftsgrundschule, an der neben den 14 Lehrerinnen und Lehrern und drei Lehramtsanwärtern noch vier Sozialpädagoginnen für die beiden OGS-Gruppen, zwei Küchenkräfte und sieben Hausaufgabenhelfer engagiert sind. Dazu kommen mindestens zehn Aktive des Fördervereins, ein tageweise anwesendes professionelles Beraterteam und die fünf „Lesepaten”. Alles in allem sind es fast 50 Menschen, die sich um das Wohl der Kinder am Ziegeleifeld kümmern.  Umfassend ist mittlerweile das Angebot an Hilfen, das in der Schule vorhanden ist oder auch vermittelt wird. Die Beratungsstelle für „Mädchen in Not” ist jeden Donnerstag im Haus. Der ehemalige Leiter der Schulberatungsstelle des Kreises Siegen-Wittgenstein steht Eltern, Kindern und Lehrern am letzten Mittwoch des Monats zur Verfügung. Beim Elternsprechtag kommt zu diesen freiwilligen Unterstützern noch eine Familienberaterin dazu.

Lernhelfer - das sind drei Studentinnen und zwei Zivildienstleistende - werden für die 40 Kinder mit Bedarf an Hausaufgabenhilfe eingesetzt. Stadtteilmanagement und Diakonie tragen dieses Angebot, das drei Mal wöchentlich stattfindet. Aber nicht nur Hilfe bei Schularbeiten ist ihre Aufgabe, sondern auch bei Konflikten sollen sie „erste Ansprechpartner” sein.

Eltern, die „erziehungsunsicher” sind, können demnächst an der Schule den „Elternführerschein” machen. Das heißt, sie bekommen an fünf Abenden Hinweise, wie sie ihrer Rolle gerecht werden. Erich Hofmann: „Es geht einfach darum, dass sie wissen, wie sie ihren Kindern Grenzen aufzeigen. Aber wichtig ist auch, dass sie sich Zeit für die Kinder nehmen.”

Zehn Monate vor der Einschulung beginnt die Grundschule schon, sich um die schulpflichtig werdenden Kinder und deren Eltern zu kümmern. Das geschieht in den drei unmittelbar zum Schulbezirk gehörenden Tageseinrichtungen, wo Elterngespräche geführt und Förderempfehlungen gegeben werden. Kommen die Kinder an die Schule, haben sie die Wahl zwischen der Vormittagsbetreuung von 7.40 bis 13.15 Uhr oder der Teilnahme an der Offenen Ganztagsschule, die mittlerweile von 52 Jungen und Mädchen zwischen 7.40 und 16.30 Uhr besucht wird. Jedes zweite Kind bekommt einen Essenszuschuss aus dem Landesprogramm „Kein Kind ohne Mahlzeit”. Hofmann: „Ich glaube, es gibt noch einmal 30 Kinder (an der Schule), denen eine warme Mahlzeit am Tag gut täte.”

Eltern von Lernanfängern, die aus anderen Sprachräumen kommen, sind nun schon im zweiten Schuljahr bei einem Sprachkursus willkommen. Sie haben ein halbes Jahr lang die Gelegenheit, sich jede Woche einmal schulen zu lassen. Dieses Angebot will Erich Hofmann „unbedingt” ausbauen.

„Wenn die Eltern nicht zu uns kommen, müssen wir zu ihnen gehen”, lautet ein Prinzip der Grundschule. Deshalb wollen Schulleitung, Lehrer und sozialpädagogische Fachkräfte regelmäßig Sprechstunden im Stadtteilbüro in der Erler-Siedlung abhalten. Denn von dort kommt ein Großteil der Kinder. Die Beratung betrifft schulische Probleme und Erziehungsfragen. Mit einer „Erziehungskonferenz” am 24. April wird die Schule einen weiteren Eckpunkt ihres umfassenden Konzeptes setzen. Unter Beteiligung von Kindergärten, Schulamt, Jugendförderung, Diakonie, Regionalem Sozialdienst, Eltern, Lehrern, Beratungsteam und auch den Lesepaten geht es darum, feste Strukturen zu schaffen. Dass dies nicht nur auf ehrenamtlicher Basis geschehen kann, hat Erich Hofmann dem Schulamt ans Herz gelegt: Er setzt sich dafür ein, dass der Schule eine „Sozialindexstelle” zugewiesen wird - wie in sozialen Brennpunkten.

Bislang hat alles einigermaßen funktioniert, weil die Beteiligten sich neben ihrer regulären Arbeitszeit für das Wohl der Kinder einsetzen. Doch Erich Hofmann würde am liebsten eine „vernünftige Ganztagsschule” leiten, das nicht nur auf das Ehrenamt setzt: „Halbherzig” nennt es der erfahrene Pädagoge, dem es nahe geht, wenn Kinder aus schwierigen Verhältnissen sich selbst überlassen werden. Zumindest sein Berufsbild hat sich in den letzten Jahren sehr verändert: „Zu 50 Prozent bin ich Lehrer, zu 50 Prozent Sozialarbeiter.”