20.03.2008

Mit Gedenken auch Menschenwürde wiedergeben

Rudolf Stähler starb 1941 in NS-Euthanasieanstalt
Name nachträglich in Gedenkliste aufgenommen

nja Ferndorf. "Rudolf Stähler 1941'. Dieser Schriftzug ist am Fuße der Gedenktafel für die im Zweiten Weltkrieg Gefallenen bzw. Vermissten zu lesen, die in der Ferndorfer Friedhofskapelle ein Ort der Erinnerung und des Mahnens ist. Der Name Rudolf Stählers wurde nachträglich mit in die Gedenkliste aufgenommen. Ein paar Jahre ist dies erst her. Wer aber war dieser Mann und welches Schicksal hat er erlitten? Die Antworten auf diese Fragen rufen ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte in Erinnerung, das auch heute noch Fassungslosigkeit hervorruft. Rudolf Stähler war zum Zeitpunkt seines Todes 31 Jahre jung. Er wurde Opfer des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms.

Dass Stählers Name viele Jahre nach seinem Tod in der NS-Euthanasieanstalt Hadamar, zwischen Lahntal und Westerwald gelegen, in Erinnerung gerufen wurde, ist dem Engagement seines Neffen Werner Münker zu verdanken. Als die Grabstätte seiner Großeltern - zugleich auch Bestattungsort des Onkels - vor einigen Jahren eingeebnet werden sollte, wünschte sich der Ferndorfer einen Ort des Gedenkens. Damit Rudolf Stählers Schicksal nicht in Vergessenheit gerate. Die Stadt Kreuztal nahm diesen Wunsch ernst, kümmerte sich und fügte den Namen der Gedenktafel hinzu.

"Mein Onkel litt unter einer geistigen Behinderung", erzählt Werner Münker. Im damaligen Ferndorfer Sägewerk fand er dennoch Arbeit, eines seiner Hobbys war die Musik: der junge Mann, Jahrgang 1910, spielte die Geige. Dann habe sich sein Zustand offensichtlich verschlechtert, so Werner Münker, der damals zwölf Jahre alt war. Im Herbst 1940 sei der Onkel in die Heil- und Pflegeanstalt Warstein eingeliefert worden. Von dort aus wurde der Ferndorfer eines Tages - ohne dass die Familie vorab informiert wurde - in die hessische "Landesheilanstalt" Hadamar, derweil als nationalsozialistische "Euthanasieanstalt" genutzt, deportiert. Dort wurde Rudolf Stähler 1941 umgebracht. Vergast und verbrannt. Seine Asche erhielt die Familie in einer Holzkiste zurück.

"Die sofortige Verbrennung der Leichen wurde mit der Gefahr von Seuchen erklärt", hat Werner Münker recherchiert. "In den Benachrichtigungen an die Angehörigen stand: 'plötzlich und unerwartet verstorben'. In einem Trostschreiben wurde eine falsche, natürliche Todesursache mitgeteilt." Die Fakten sprechen jedoch schon lange eine andere Sprache. Menschen wie Rudolf Stähler galten als "lebensunwert", passten nicht in den Rassenwahn des Terrorregimes.

Werner Münker berührt das Schicksal seines Onkels nach wie vor: "Ich fühle eine Verpflichtung, kundzutun, warum und unter welchen Umständen mein Ortkel gestorben ist." Und so wurde er vor kurzem erneut im Kreuztaler Rathaus vorstellig. Namenszug und Sterbejahr in der Friedhofskapelle sollen ergänzt werden um die Information "Opfer der NS-Euthanasie". Dies erkläre dann auch, warum Rudolf Stählers Name sich optisch von der Liste der anderen Kriegsopfer abhebe. Die Stadt steht Münkers Ansinnen verständnisvoll und offen gegenüber. Alleine kann sie aber nichts unternehmen, und so stehen Abstimmungsgespräche mit dem Kreis Siegen-Wittgenstein als übergeordneter Aufsichtbehörde in Sachen ,Kriegsgräber' an.

Am 31. März, also in anderthalb Wochen, jährt sich Rudolf Stählers Geburtstag zum 98. Mal. Als offizielles Sterbedatum gaben seine Mörder den 5. August des Jahres 1941 an. Werner Münker versteht sein Bemühen auch als symbolischen Akt. "Stellvertretend für die 10072 in Hadamar mit Gas ermordeten psychisch kranken und geistig behinderten Menschen" solle auf der Ferndorfer Tafel seines Onkels gedacht werden: der Versuch, den Opfern ihre Menschenwürde wiederzugeben.