19.12.2009

Als noch acht Jahrgänge in einem Klassenraum saßen

Der Seniorenbeirat hat sein achtes Zeitzeugenprojekt mit der Clara-Schumann-Gesamtschule zum Abschluss gebracht.

Sie hatten gerade die Schule beendet oder waren dabei, als der Krieg zu Ende ging. Mitglieder des Kreuztaler Seniorenbeirats berichteten jetzt im achten Zeitzeugenprojekt vor Elftklässlern der Clara-Schumann-Gesamtschule, wie es ihnen in ihrer Jugendzeit ergangen ist.

Ursula Bald aus Krombach zum Beispiel: Sie besuchte vor dem 16. Dezember 1944 die Oberschule für Mädchen in Siegen. Nach dem Bombenangriff war die Schule jedoch so stark beschädigt, dass Ursula Bald sich umorientieren und mit Sondergenehmigung zur Oberschule für Jungen nach Weidenau gehen musste. Manfred Albrecht indes hatte sein Abitur gerade in der Tasche, als er zum Kriegsdienst eingezogen wurde, aus dem er verwundet zurückkam – aber nicht ins heimische Breslau, sondern ins ferne Siegerland. Dort begann er seine Karriere als Lehrer.

Jugendzeit bestimmt von dem Kriegsende 
Nach den bisherigen Themenfeldern Nationalsozialismus, Flucht und Vertreibung, Gastarbeiter und Wirtschaftswunder war dieses Zeitzeugenprojekt der „Pädagogik von der Nachkriegszeit bis 1968” gewidmet. Außer Ursula Bald und Manfred Albrecht gaben noch Seniorenbeiratsvorsitzender Harry Czogalla sowie die Beiratsmitglieder Waldemar Müller, Dieter Frodl und Manfred Schaumann Einblick in ihre Jugendzeit, die mehr oder weniger vom Kriegsende bestimmt war.

Drei Tage in dieser Woche gehörten den Schilderungen der an der Gesamtschule wohl bekannten Ruheständler: Die Pädagogik-Lehrer Lars Snethkamp und Peter Stieldorf betteten die Zeitzeugenberichte in den Unterricht ein, an dem zeitweise auch die Sozialwissenschaftler des Abiturjahrgangs teilnahmen. Denn für sie ist die Erziehung in der NS-Zeit ein Thema im Zentralabitur. Für die Abschlussveranstaltung in der Weißen Villa hatten die Senioren sogar eine kleine Materialsammlung zusammengestellt, die Bezüge zu dem herstellten, was die Nazis unter Erziehung verstanden haben mögen. Harry Czogalla zeigte authentische Bilder aus seiner Zeit in der „Hitler-Jugend”, die er uniformiert verbringen musste. Ein „Feldgesangbuch”, das Czogalla aufgehoben hat, steht für ihn als Beleg für das Versagen der christlichen Kirchen: „Die haben alles mitgetragen.”

In den Diskussionen, die die aufmerksamen Schülerinnen und Schüler mit den Gästen des Beirats führten, wurden viele Fragen zu den persönlichen Erfahrungen der teilweise schon über 80-Jährigen gestellt, die zu ihrer Schulzeit noch Bekanntschaft mit dem Rohrstock machten. Noch weit über die Nachkriegszeit hinaus, das wussten die Alten von ihren eigenen Kindern, galt in den Schulen das Züchtigungsrecht – für die heutige Generation unvorstellbar. Auch die Tatsache, dass in der Zeit des Wiederaufbaus jahrgangsübergreifend unterrichtet werden musste, wirkt auf die Jugend des 21. Jahrhunderts befremdlich. Junglehrer Manfred Albrecht hatte es in der Buschhüttener Volksschule mit der „Oberklasse” zu tun, die die Klassen 5 bis 8 umfasste und von 68 Kindern und Jugendlichen besucht wurde.

Lehrer bekam weniger Geld als ein Arbeiter 
Als Albrecht Ende der 1940er Jahre sein Lehrerstudium in Kettwig absolviert hatte, fand er zunächst keine Anstellung und schraubte in Eiser-feld Schreibmaschinen zusammen. 1950 wurde er schließlich Lehrer: „Was haben Sie damals verdient?”, will eine Schülerin wissen. „Weniger als in der Fabrik”, erinnerte sich der 84-Jährige, der dennoch bis zur Pensionierung dem erlernten Beruf treu blieb. Waldemar Müller, der 1957 in die Bundesrepublik geflüchtet war, hatte Bilder seiner Klasse mitgebracht. Er war in seiner schlesischen Heimat in einer Schule unterrichtet worden, in der alle acht Jahrgänge in einem Raum untergebracht waren. Auch er wollte eigentlich Lehrer werden. Doch das erlaubten die neuen Herrscher nicht. So wurde er Verkäufer in einem Industriebetrieb. hn