27.02.2009

„Zeugnis industriellen Fleißes" (Bahnjubiläum, Bericht SZ)

Stichtag: 1. März. Eisenbahnstrecke Creuzthal-Hilchenbath vor 125 Jahren eröffnet. Als das „Metallross" Anfang März 1884 zur Jungfernfahrt aufbrach, endete die Ära der Postkutsche im Ferndorftal.

sz/nja. „Von schönstem Wetter be­günstigt, wurde am vorigen Samstag das jüngste und zugleich bedeutungsvollste Werk industriellen Fleißes und idealen Strebens als vollendet anerkannt und in unsern Dienst gestellt. Welch freudiges Entzücken und Beglücken für alle Bewoh­ner des oberen Ferndorfthals! (...) Schon am frühen Morgen des feierlichen Eröff­nungstages vernahmen wir den noch un­gewohnten grellen Ton des präcise 6.10 Uhr bereitstehenden Metallrosses. Seinem Dienstantritt wurde von einem Dutzend Böller donnernden Beifall gezollt." Mit die­sen enthusiastischen Worten berichtete die Siegener Zeitung Anfang März 1884 über die Eröffnungsfeier der „Sekundär­Eisenbahn Creuzthal-Hilchenbach".

Dieses bis in die heutige Zeit bedeu­tungsvolle Ereignis, das sich nun zum 125. Mal jährt, ist eng verknüpft mit einem zweiten aus dem gleichen Jahr, denn auch der Ferndorfer Bahnhof existiert seit nun­mehr 125 Jahren. So manchem Neuanfang geht jedoch ein Ende voraus - so auch in diesem Fall: Und so begab sich am 29. Fe­bruar 1884 letztmalig die Postkutsche auf den Weg durch das Ferndorftal. Dieser Ab­schied war mit viel Wehmut verbunden.

Wie aber kam es zu dieser Investition in die Infrastruktur? Wie in Teil II der Fern­dorfer Dorfchronik des Heimatvereins zu lesen ist, stellte 1870 der Dahlbrucher Fa­brikant August Klein eine Liste zusammen, in der das gesamte zu erwartende Fracht­aufkommen im Ferndorftal verzeichnet war und rechnete vor: Der Betrieb einer Ei­senbahn „untergeordneter Bedeutung" von Hilchenbach nach Kreuztal mit An­schluss an die 1861 eröffnete Ruhr-Sieg­Strecke sei wohl rentabel. Für Ferndorf wurden jährlich 62 500 Zentner erwartet.

„Die Herren Hermann Klein aus Hil­chenbach, die Gebrüder Klein aus Dahl­bruch und J. H. Dresler sen. aus Siegen stellten den Bauantrag", hielt Dietmar Stahlschmidt in der Chronik fest. Die Bau­kosten: rund 952 179 Mark. „Da die Landes­regierung keine Mittel für den Bahnbau zur Verfügung stellen wollte, gründete man 1881 in Hilchenbach ein Komitee, die Creuzthal-Hilchenbacher Eisenbahngesell­schaft", eine Aktiengesellschaft, die sich den Bau und Betrieb einer Sekundäreisen­bahn zum Ziel setzte. „In kurzer Zeit wurde eine große An­zahl Aktien gezeichnet, so dass bereits im Februar 1881 die Gebrüder Klein (jetzt Sie­mag) 150 000 Mark und die Stadt Hilchen­bach 60 000 Mark zeichneten." Als sich das Vorhaben somit also gut entwickelte, „reg­ten sich dann doch die höchsten Instan­zen": Eine Privatbahn sollte verhindert werden. Die Bergisch-Märkische Eisenbahnge­sellschaft wurde beauftragt, Kontakt zu der Aktiengesellschaft aufzunehmen, und auch die beteiligten Gemeinden und Pri­vatpersonen wurden von der Eisenbahndi­rektion aufgefordert, sich zu engagieren.

Die Baugenehmigung wurde 1881 erteilt -unterzeichnet von keinem Geringeren als Wilhelm L, König von Preußen - und mit der Auflage verbunden, dass die Strecke in spätestens zwei Jahren in Betrieb zu sein habe. „Die Bauarbeiten begannen Ende des Jahres. Der Einfachheit halber verlegte man die Strecke zwischen Ferndorf und Hilchenbach entlang der Provinzialstraße, auch Chaussee genannt", also der späteren Wittgensteiner Straße. Anrainer der Trasse klagtien gegen den Bau: Sie befürchteten, ihre Grundstücke würden wegen Lärms und Drecks entwer­tet oder gingen auch verloren - und erhiel­ten schließlich Vergleichszahlungen. Und auch die Fuhrbetriebe im Ort waren zu­nächst alles andere als begeistert, bangten um Aufträge, befürchteten in der Eisen­bahn eine knallharte Konkurrenz: Eine Angst, die zum Glück nicht berechtigt war. Denn: Mit Eröffnung der Bahnlinie nahm der Güterverkehr zu.

Die alte Landstraße, heute heißt sie Austraße, muste verlegt werden, bei ande­ren Häusern wurde das Stroh auf den Dä­chern durch feuerfeste Materialien er­setzt. Während all dies zu klären war und die Bahnstrecke Meter für Meter wuchs, wurde auch der Wunsch nach einem eige­nen Bahnhaltepunkt Ferndorf erfüllt.

Bombenangriff zerstörte Kreuztaler Rangierbahnhof

Der Kreuztaler Rangierbahnhof wurde am 18. März 1945 bei einem Bombenangriff der Alliierten nahezu völlig zerstört. Und auch der Ferndorfer Haltepunkt sowie die Schienen wurden dabei beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen. Der Zugverkehr Richtung Kredenbach musste eingestellt werden. Nach Beseitigung der Kriegsschä­den in Folge der Besetzung auch Ferndorfs durch die Amerikaner wurden im Juni 1945 die Strecken Kreuztal-Hilchenbach, Siegen-Hagen und Kreuztal-Marburg wieder in Betrieb genommen. Das war für viele Bürger ein Glück: Standen doch als­bald abenteuerliche „Hamsterfahrten" in Nachbarregionen, zum Beispiel nach Hes­sen, auf dem Programm, um die Versor­gung der Familien zu sichern.

Bahntrasse wurde verlegt - Provinzialstraße dauerhaft nicht geeignet / Neubau im linken Tal

Dass die Eisenbahn­schienen zwischen Ferndorf und Hilchen­bach auf der Hauptstraße verliefen, sollte nicht von allzu großer Dauer sein. Der Zug­verkehr nach Marburg nahm zu, und dies führte zu gefährlichen Situationen: Es gab Unfälle mit Verletzten und auch Toten, ist in der Ferndorfer Dorfchronik nachzule­sen. Die Schlussfolgerung: Die Bahntrasse wurde Richtung Süden ins Tal verlagert. Die Gemeindevertretung erklärte sich schließlich 1909 „mit einer Streckenfüh­rung vom Bahnhof durch die Aher Weiden einverstanden". Die Vorbereitungen zogen sich bis 1912 hin. Mit dem Bau wurde 1913 begonnen; nach Ausbruch des 1. Welt­kriegs wurde er auch von Kriegsgefange­nen ausgeführt. Die polizeiliche Abnahme erfolgte 1915.

Die Trassenverlegung bedingte bauli­che Änderungen und Erweiterungen des Bahnhofs; so wurden u. a. ein Ausweich­gleis und ein zweiter Bahnsteig errichtet; es waren nunmehr Zugkreuzungen möglich. „Der alte Bahndamm zwischen Bahnhof und Provinzialstraße hatte ausge­dient, und die Fläche des ehemaligen Bahnkörpers an der Provinzialstraße wur­de 1921 von der Bahnmeisterei Hilchen­bach zur Straße umgebaut", ist der Fern­dorfer Chronik zu entnehmen.

Konkurrenz erhielt die Bahn Ende der 20er Jahre vom Omnibus - wohl auch, weil mit der Schienenverlegung in die linke Talseite die Entfernung zu den Orten Kre­denbach-Lohe, Dahibruch sowie zu Stift Keppel/Allenbach gewachsen war. „Die Gemeinde Ferndorf begrüßte am 3. Januar 1928 den Antrag der Firma W. Koopmann in Scherl bei Meinerzhagen auf Eröffnung einer Autobuslinie Littfeld-Hilchenbach. Diese sollte die Arbeiter zum Eichener Walzwerk bringen und die fehlende Zug­verbindung ersetzen. Es kam aber nicht zur Eröffnung dieser Linie, vor allem we­gen der Widerstände der Eisenbahnver­waltung. Dafür erhielt nach allerlei Schwierigkeiten der Kraftfahrunterneh­mer Albert Schmidt in Dahlbruch die Ge­nehmigung für den Autobusbetrieb."

Haltepunkt für Ferndorf - Stationsvorsteher mit eigener Dienstwohnung / Heute: DB Plus-Punkt

Als das erste „Eisen­ross" über die neue Bahnlinie zwischen Kreuztal und Hilchenbach ratterte, wurde auch der Ferndorfer Bahnhof seiner Be­stimmung übergeben - dazu zählten sei­nerzeit neben dem Empfangsgebäude mit Stationsbüro, Fahrkartenausgabe, Warte­saal sowie, im Obergeschoss, einer Dienst­wohnung des Stationsvorstehers auch noch ein Güterschuppen mit Stückgutwaa­ge und eine Sanitäranlage. Das waren noch Zeiten, mag sich der auch heute noch auf die Bahn angewiesene Ferndorfer den­ken - selbst, wenn seine Ahnen seinerzeit die Briketts zum Beheizen des Ofens im Wartesaal schon mal selbst mitbringen mussten!

Laut Ferndorfer Ortschronik waren die Geschäftsleute stark interessiert an einem Zughaltepunkt vor Ort, mussten sie bis­lang ihre Güter doch immer zum Kreuzta­ler Bahnhof kutschieren, um sie versenden zu können, und ihre Rohstoffe dort auch abholen. Die Ferndorfer „Dependance" entstand „auf der Pfarrwiese" - zwischen Mühlenweg, Vorm Berge, Ferndorfbach und der Provinzialstraße (später: Wittgen­steiner Straße). Auch der Güterverkehr profitierte von der Eröffnung der Bahnstrecke zwischen Kreuztal und Hilchenbach, und die örtli­chen Fuhrmannsleute atmeten auf: Konn­ten sie doch die Waren vom Bahnhof in die Ortschaften transportieren.

Eine Bahnhofsgaststätte gab es am Hal­tepunkt Ferndorf nie - allerdings lag der Gasthof „Hamer" an der Provinzialstraße und direkt am Zufahrtsweg zum Bahnhof. Er wurde 1886 zudem in „Gasthof zum Bahnhof" umbenannt, in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts dann aber in ein Wohngebäude umfunktioniert, bevor Oswald Finke den Bau 1930 erwarb und wie­der seiner gastgebenden Funktion zuführ­te. Den Namen „Hotel Finke" erhielt das Gebäude erst in den 50er Jahren.

Doch zurück zu den Anfangstagen: Nachdem 1888 der Bahnstreckenabschnitt zwischen Hilchenbach und Erndtebrück für den Verkehr freigegeben worden war, wurde eine Verlängerung des Ferndorfer Bahnsteigs erforderlich. Weitere folgten, denn: Anfang des 20. Jahrhunderts siedel­te sich weitere Industrie in Bahnhofsnähe an. In der Chronik wird u. a. an das Kurth­sche Zementwerk sowie das Anschluss­gleis für Kaufmann Schaub erinnert.

1956 verlor die Dienststelle des Fern­dorfer Bahnhofs ihre Selbstständigkeit und gehörte nunmehr zum Bahnhof Dahl­bruch. Es folgten Umbauten und auch Si­cherungsmaßnahmen an den Bahnüber­gängen Vorm Berge und Mühlenweg. Sein schmuckes Antlitz verlor der Bahnhofsbau 1968, als laut Chronik die kunstvoll ver­zierten Giebel und der ornamentale Na­turschiefer entfernt und von einer ver­gleichsweise schnöden Kunstverschiefe­rung ersetzt wurden. Auch das Trinkwas­serbecken verschwand. Es sollte nicht die einzige „Reduktion" bleiben. Ab 1975 ge­hörte der Ferndorfer Bahnhof sodann zum „großen Bruder" in Kreuztal. „Der Schalter mit der Zahlstelle für Pensionäre und Hin­terbliebene, die Betreuungsstelle und Frachtbriefannahme wurden aufgegeben und zugemauert." Die Dienstwohnung wurde ab 1965 pri­vat vermietet. Anno 2000 schließlich er­folgte die bislang letzte Änderung mit der Errichtung des so genannten „DB Plus­Punkts".