01.04.2010

Pferde unentbehrliche Helfer

Erinnerungen an Kreuztaler Fuhrunternehmer: „Mädchen“ für vieles

Mit der aufkommenden Motorisierung verschwanden die Gespanne aus dem Ortsbild.

uha ♦ In allen europäischen Kulturen aller vergangenen Jahrhunderte spielte das Pferd als des Menschen Freund und Helfer eine bedeutende Rolle. Dort waren es die früheren eroberungshungrigen und verwegenen Reiterscharen oder die spätere Kavallerie, hier im eher friedlichen dörflichen Umfeld waren es die pferdebespannten Fuhrwerke, teilweise auch Ochsenkarren, die über die alten Handelswege rumpelten, sich durch schlammige Hohlwege hindurchquälten und später über die gepflasterten Chausséen mittels ihrer eisernen Hufeisen dahinklapperten. Das Pferd war im dörflichen Leben, in Land- und Forstwirtschaft, seit jeher ein unentbehrlicher Helfer.

In Ernsdorf/Kreuztal waren es in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vornehmlich vier Pferdefuhrwerker, die mit diesen Gefährten ihren Lebensunterhalt verdienten. Zwischen Moltkestraße und Roonstraße, unmittelbar an der Siegener Chaussée, lag das große Haus von „Fuhrmann Herling“. Es war Heinrich Herling, der mit seinem Pferd, „ein schwerer rassiger Gaul“ – so erinnert sich heute der 92-jährige Gerhard Klein, sein gut laufendes Kohlengeschäft abwickelte. Er war ein bis ins hohe Alter pflichtbewusster Mann, der aber keine Nachkommen hatte. Am Tag vor seinem plötzlichen Ableben habe er abends den Gaul versorgt, um danach beim nicht weit entfernten Gasthaus Beinhauer mit anderen Fuhrleuten sich noch ein Schnäpschen zu erlauben. Mit seinem Tod in den dreißiger Jahren gab es nun im Haus keinen Fuhrmann mehr, das Pferd wurde verkauft, aber der Kohlenhandel wurden von Heinrichs unverheirateten Schwestern noch einige Jahre weitergeführt.

Einen kleinen Fuhrbetrieb hatte auch Karl Hadem („Trure Karl“) am Bahnübergang Moltkestraße. Er bediente vornehmlich die eigene Landwirtschaft, beherbergte die Dreschmaschine, fuhr aber auch den Totenwagen und war im Auftrag der Güterabfertigung der Deutschen Reichsbahn tätig. Ein jahrelanger treuer Helfer war ihm „Lützes Walter“, heute noch dorfbekannt. Karl Hadem betrieb das Fuhrgeschäft von 1911 bis 1940, mit seinem Tod und Lützes Walters Einzug zur Wehrmacht wurde dass letzte Pferd „Lotte“ an Adolf Bub verkauft.

Mitten im eigentlichen Ernsdorf wohnte dieser besagte Fuhrmann Adolf Bub, im Volksmund „Liese Adolf“. Mit seinem Einzelpferd, ein kaltblütiger Belgiergaul, bediente er die eingesessenen Kleinlandwirte, die nur Ziege, Schwein und Hühner im Stall hatten, aber zugleich auch Kartoffeln, Roggen und Hafer anbauten. Alle schwere Arbeit auf den Feldern wie Ackern und Eggen, Mist- und Jauchefahren, Kartoffelsetzen und -roden vollbrachte „Lieses Pferd“. Mit dem Rückgang der Kleinlandwirtschaft in den 50er Jahren und zunehmendem Wohlstand veränderte sich das dörfliche Leben schnell und einschneidend.

Die wohl bedeutendste Rolle im Fuhrwesen spielte der Fuhrunternehmer Adolf Herling, der mit seinem Vater August im Hause Flick die Landwirtschaft – Friedrich Flicks Vater Ernst war Holzhändler und auch Fuhrunternehmer – schon früh übernommen hatte. Adolf Herlings treue Helfer waren zum einen Rudi Münker (heute lebt der 82-jährige Rentner in Bockenbach), später Sohn Lothar Herling, der das Fuhrgeschäft bis 1982 weiterführte. Mit den zwei Ackergäulen „Benno“ und „Fritz“, später auch „Max und Moritz“, wurden neben den Arbeiten in Wald und Feld auch im Ort mancherlei Aufgaben wahrgenommen. Vertraglich waren mit der Gemeindeverwaltung der Schneeräumdienst mit dem „Blauschlitten“ vereinbart, aber auch die Fahrten des Totenwagens und vor allem die Müllabfuhr.

Rudi Münker erinnert sich genau: „Es staubte ganz schön, wenn die vor allem mit Asche gefüllten Eimer in den offenen Kastenwagen geleert wurden.“ Erst 1955 wurde die so genannte „staubfreie Müllabfuhr“ eingeführt, vorerst mit pferdebespanntem Kübelwagen, später und natürlich bis heute mit speziell ausgerüsteten Fahrzeugen der Entsorgungsbetriebe, die teilweise sogar ohne menschliches Zupacken auskommen. Eine differenzierte Mülltrennung, wie wir sie heute in der Wohlstandsgesellschaft praktizieren, wäre in den Kriegs- und Nachkriegsjahren völlig undenkbar gewesen.

Auch weitere Pferdefuhrwerke waren in Ernsdorf/Kreuztal unterwegs: Der Holz- und Kohlenhändler Albert Bald hielt im alten Pferdestall in der heutigen Stephanstraße zwei Arbeitspferde vor, um die Holzstämme aus dem Wald zum Sägewerk und Balken und Bretter zu seinem Lager wie auch zu den Hauptkunden, den Gruben und Handwerkern, zu bringen. In jenen längst verflossenen Jahren traf man auch die Fuhrwerke von Ferdinand Bub, Albert und Karl-Albert Hadem, Otto Fliegener, Ernst Heinbach und Ludwig Pfaff auf den Kreuztaler Straßen. Die einen, die Zweispänner, fuhren die schwerbeladenen Wagen, die anderen, die Einzelpferde begnügten sich mit kleineren Wagen und kleineren Lasten. Einen großen Anteil am Auftragsaufkommen für die Fuhrleute hatten die Holzlieferungen an die Siegerländer Gruben, im Kreuztaler Raum aber auch Transporte zum hiesigen Bahnhof wie auch das Ausladen und Verteilen der ankommenden Güter wie Kohle und Baustoffe.

Ein tragisches Unglück ereignete sich in den Anfängen der 50er Jahre, als in der beginnenden Dämmerung ein Pkw vor der Bahnschranke am Amtshaus auf einen ordnungsgemäß abgesicherten Langholzwagen auffuhr. Die Holzstangen durchbohrten die Windschutzscheibe des auffahrenden Wagens und forderten zwei Todesopfer. Adolf Herling, der Fuhrmann, obwohl unschuldig, konnte dieses Erlebnis sein Leben lang nicht vergessen. Mit der immer stärker aufkommenden Motorisierung – selbst die Fuhrleute Herling legten sich für die schweren Waldarbeiten bald einen Allrad-Unimog zu – hatten die meist schweren Gäule bald ihre Schuldigkeit getan und sind heute aus dem modernen Stadtbild vollends verschwunden.