20.09.2012

James-Dyson-Award: Ferndorfer Studentin setzte sich durch

Ferndorf. Grundsätzlich gehört es sich natürlich überhaupt nicht, Ideen zu klauen. Aber hin und wieder werden Menschen für eine solche Freveltat sogar belohnt. So wie Adrienne Finzsch, die sich für einen Wettbewerbsbeitrag beim Einfallsreichtum von Mutter Natur bediente und damit Deutschlandgewinnerin des James-Dyson-Awards 2012 wurde.

nik - Die 25-Jährige studiert im achten Semester Industriedesign an der Hochschule Darmstadt, sie stammt aus Ferndorf und baute am Gymnasium Stift Keppel ihr Abitur. Vor zwei Jahren stand das Vordiplom an; hierfür sollte ein Projekt zum Oberthema "Fliegen" entwickelt werden. Adrienne Finzsch recherchierte und stellte fest, dass beim Abwurf von Hilfsgütern über Katastrophengebieten recht viele Verluste zu beklagen sind. Da fragte sie sich: "Wie macht es die Natur?"

Ahornbaum als Vorbild
Am Beispiel des Ahornbaums zeigt sich einmal mehr, dass diese ungemein clever ist: Dessen Samen ist mit kleinen Flügeln ausgerüstet. Jeder kennt sie, wie sie Richtung Boden propellern und eine sanfte Landung hinlegen. Damit wurde die Idee zu Adrienne Finzschs "Emergency Airdrop" geboren - ein System, basierend auf einem kontrollierten Rotations-Sinkflug. Die Hilfsgüter selbst müssen natürlich dennoch sicher verpackt werden. Hierfür entwickelte die Studentin einen Container, der in das Flügelsystem eingespannt wird.

33 Prozent mehr Güter
Die Flügel schließen hernach automatisch, weshalb das geschlossene System mit seiner dreieckigen Grundform im Frachtflugzeug extrem platzsparend verstaut werden kann, und zwar unter optimaler Raumausnutzung. Pro Flugeinsatz könnten so 33 Prozent mehr Güter befördert werden. Die Klappe des Flugzeugs geht auf, die Container gleiten durch die Luke, die Flügel öffnen sich automatisch und beginnen unter Nutzung des Luftwiderstandes zu rotieren. Der Schraubenflug, wie man ihn vom Ahornsamen kennt, mindert die Sinkgeschwindigkeit, da aber der Aufprall des Containers natürlich immer noch nicht unerheblich ist, verfügt dieser über einen doppelten Boden.

Nicht der einzige Preis
Dass bei der Verteilung der Güter nichts in Unordnung gerät, auch daran hat Adrienne Finzsch gedacht und die Container mit einer speziellen Farbgebung und Symbolik gekennzeichnet. So wissen die Helfer sofort, ob es Wasser, Nahrung, Decken oder Medizin ist, was da gerade zu ihren Füßen landete. "Ein halbes Jahr habe ich an dem Projekt gearbeitet", erzählt Adrienne Finzsch der Siegener Zeitung, die die Studentin in Wien "erwischte". Ein Semester lang tüftelte sie also an der Umsetzung ihrer Idee. Wer nun denkt, dass die schwebenden Container ein Maximum an Material benötigen, irrt: Sie werden aus einem mit Wachs beschichteten Altpapier-Recyclingkarton gefertigt, sind also kostengünstig in der Herstellung und ökologisch korrekt.

Außerdem sieht das Ganze auch noch elegant und luftig aus - Kunststück, die Frau ist schließlich Designerin. Dass sie einen renommierten Preis wie den nationalen James-Dyson-Award, benannt nach dem britischen Designer, Erfinder und Unternehmer, der durch seine beutellosen Staubsauger berühmt wurde, gewonnen hat, überraschte die Studentin aber schon: "Es sind ja meistens Absolventen, die da abräumen. Ich bin ja noch mitten im Studium." Dabei ist es nicht der erste Preis, den ihr System holte: Bereits im vergangenen Jahr überreichte man Adrienne Finzsch für "Emergency Airdrop" den Mia-Seeger-Preis. Mit 1800 Euro war der Dyson-Award auf nationaler Ebene dotiert, am 8. November geht es um mehr, nämlich um sage und schreibe 22.000 Euro.

Nun sind Ingenieure gefragt
Dann tritt die Studentin bei der internationalen Runde des Wettbewerbs an. Rechnet sie sich Chancen aus? "Nicht so stark. Ich bin ja so schon froh, dass ich gewonnen habe!" Ein Platz unter den ersten Zehn, darüber würde sich die Ferndorferin freuen. Was noch toller wäre? Einmal sehen, wie der geflügelte Container tatsächlich aus einem Flugzeug abgeworfen wird! Bisher wurde aus einer Höhe von 50 Metern getestet. Alles, was darüber hinaus geht, kostet Geld, denn als Industriedesignerin hat Adrienne Finzsch die "Idee, den Anreiz und die Konstruktion geliefert", wie sie selber sagt - die Feinarbeit müssten nun Ingenieure übernehmen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn die Studentin, die sich ihre preisgekrönte Idee patentieren ließ, steht bereits mit einem Unternehmen in Verhandlungen. Unter Umständen wird dieses Unternehmen ja Tests unter realistischen Bedingungen ermöglichen.

Steinreich werden mit einer solchen Entwicklung, das ist aber eher unwahrscheinlich. Adrienne Finzsch will aber sowieso nur eines: "Ich möchte sehen, dass es funktioniert." Sie hat ihren Traumjob jedenfalls gefunden, wird in zwei Semestern ihr Studium beenden und vorher für ein Praktikum nach New York gehen. Und vielleicht wird sie irgendwann ja wirklich in der ersten Reihe sitzen, wenn irgendwo ein geflügelter Container aus einem Flugzeug fällt und gen Erde rotiert.