13.02.2013

Von Händsche und Härweskützje

„Stiefel?“, fragt Petra Solau-Riebel die Dreierrunde im Dorfgemeinschaftshaus Irlenhecken. Christel Steffe, Günter Belz und Ulrich Stein antworten: „Dr Stewwel.“ Schuhe? „De Schoo“. Handschuhe? „Händsche.“ Und ein Handschuh? „En Händschoo.“

So geht es fast fünf Stunden lang -- mit Unterbrechungen. Die drei Ferndorfer Einwohner haben sich bereit erklärt, am Siegerländer Sprachatlas (SiSal) mitzuwirken – einem Projekt der Uni Siegen, das Prof. Dr. Petra M. Vogel vom Fachbereich Germanistik leitet. Christel Steffe, Günter Belz und Ulrich Stein erfüllen die wichtigste ­Voraussetzung zur Teilnahme: Sie sind „ortsfest“ und mindestens 70 Jahre alt.

In 32 Dörfern des Siegerlandes waren die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Petra Solau-Riebel und Carola Baumann seit 2011 unterwegs, um Siegerländer jenseits der Pensionsgrenze mit 700 Begriffen aus Alltag, Küche, Handwerk oder Landwirtschaft zu konfrontieren und von ihnen die Siegerländer Entsprechung zu hören. Das Projekt dient der Bewahrung der von Dorf zu Dorf unterschiedlichen Färbung des heimischen Dialekts.

Varianten von Lippe bis Littfeld
Blatt für Blatt wird die Arbeitsmappe durchgegangen. Ferndorf ist die letzte Station. Petra Solau-Riebel fragt immer wieder nach. Aufschreiben muss sie nichts, denn das Tonbandgerät läuft mit. Der Sprachatlas soll ein „sprechender“ sein: Originaltöne dieses Vormittags in Ferndorf sowie aus den anderen 31 Ortschaften werden per Mausklick zu hören sein. Der Start ist für den Frühsommer dieses Jahres geplant. Später wird es auch ein gedrucktes Buch mit allen dialektalen Variationen zwischen Littfeld und Lippe geben. Die Gesamtkosten für den Sprachatlas liegen bei rund 130.000 Euro.

Ferndorf gehörte eigentlich nicht zu den Dörfern, die die Uni-Leute ausgewählt hatten. Denn die wurden im Altkreis Siegen mit Hilfe eines Gitterrasters bestimmt – ein Ort pro Planquadrat: Dabei wurden 30 Dörfer ermittelt, aus jeder Kommune im Altkreis entsprach das zwei bis drei Stadtteilen. Für Kreuztal waren dies Fellinghausen, Osthelden und Littfeld.

Der Verein zur Pflege der Dorfgemeinschaft Ferndorf indes mochte als Hüter der Tradition im bald 950 Jahre alten Ort - im Jahre 2017 wird wieder Jubiläum gefeiert - nicht außen vor sein und reichte die Bewerbung zur Teilnahme nach. Das bedeutete aber, sich an den Kosten zu beteiligen: 1000 Euro. Die Spende aus dem Erlös, den die Kreuztaler Bürgerstiftung beim vorigen Weihnachtsmarkt erzielte, machte es möglich. Nun galt es, auch geeignete Kandidaten zu finden. Mit Ulrich Stein und Christel Scheffe standen Kenner des Ferndorfer „Pladd“ zur Verfügung. Günter Belz rückte kurzfristig nach, als zwei Teilnehmer absagen mussten.

Dialekt stirbt aus
„Seit drei Generationen ist unser Dialekt am Aussterben“, sagt Katrin Stein. Untereinander reden die alten Ferndorfer zwar noch im Dialekt, aber schon deren Nachkommen lernen die überkommenen Begriffe nicht mehr. Katrin Stein ist einer der Motoren des Vereins zur Pflege der Dorfgemeinschaft. Sie kümmert sich mit Olaf Schröder um den Internetauftritt www.ferndorf.de. Auch dort sollen die Ergebnisse des Dialektforschungsprojekts veröffentlicht werden, kündigt Olaf Schröder an; auf einer interaktiven Plattform, die nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Ergänzen oder gar Korrigieren einlädt.

In der warmen Stube des Dorfgemeinschaftshauses geht es unterdessen weiter. Interviewerin Petra Solau-Riebel erfährt von den alten Ferndorfern, dass Ameisen bei ihnen „Saichamedse“ heißen. Oder dass Eichhörnchen im Volksmund „Kawrätze“ genannt werden. Was ein „Härweskützje“ ist, muss Ulrich Stein erklären: „Ein im Herbst geborenes Jungtier, das etwas zurückgeblieben ist.“ Und dann kommt der bekannte Siegerländer Witz mit den Waldbeeren, die sich als „Pärdslömmler“ herausstellen -- als Mistkäfer.