18.03.2016

Verkehrswegeplan: Katzenjammer im Ferndorftal

Kreuztal/Hilchenbach. „Das ist noch nicht das letzte Wort.“ Helmut Six, Sprecher der Bürgerinitiative „Weniger Lärm — B 508 und B 62“, nimmt die Nachrichten aus dem Bundesverkehrsministerium mit Fassung. Immerhin seien die Ortsumgehungen, die an die Kreuztaler Südumgehung anschließen, „nicht ganz gestrichen“. Im Entwurf des Fernstraßenbedarfsplans sind die 9,7 Kilometer Straße zwischen Ferndorf und der Kronprinzeneiche als „Weiterer Bedarf“ vorgemerkt, für den zwar geplant werden kann. Ein Bau kommt aber vor 2030 nicht in Frage.

In den Augen der Bürgerinitiative droht nun das, wovor sie wiederholt gewarnt hat: Die Südumgehung Kreuztal wird gebaut, der zusätzlich davon angezogene Verkehr rollt weiter durch die Ortslagen von Dahlbruch, Allenbach und Hilchenbach. Dennoch, so Six, sei die Einstufung der Kreuztaler Südumgehung in den „Vordringlichen Bedarf“ zu begrüßen.

„Das hat uns nicht gut getan“
Das tut auch Kreuztals Bürgermeister Walter Kiß - allerdings mit ganz anderen Schlussfolgerungen. Endlich werde die Südumgehung von der Debatte über die Route 57 abgekoppelt. Die Argumentation, die Südumgehung sei der Beginn der Straße nach Wittgenstein, „hat mich immer geärgert“. Die Querspange habe eine selbstständige Funktion für Kreuztal. Die Verbindung mit dem Fernstraßenprojekt „hat uns nicht gut getan“. Wissen möchte Kiß nun, wann der Planfeststellungsbeschluss kommt. „Wir warten lange genug.“ Dass der Entwurf des Verkehrswegeplans noch einmal die Tunnel-Variante für das Mattenbachtal aufgreift, glaubt Kiß nicht: Bund und Land hätten längst erklärt, dass sie den nicht finanzieren.

„Schlag ins Kontor“
Während der Kreuztaler Bürgermeister in den benachbarten Stadtteilen ferndorfaufwärts „die ganz großen Verkehrsprobleme nicht gesehen hat“, bewertet sein Hilchenbacher Kollege Holger Menzel die Herabstufung der Ortsumgehungen kritisch: „Das ist ein Schlag ins Kontor für die Menschen, die darauf angewiesen sind.“ Überrascht sei er von der Bewertung des Bauvorhabens durch den Bund allerdings nicht: „Ich habe immer gesagt, dass das schwierig wird.“

Hilchenbachs SPD-Fraktionschef Helmut Kaufmann bedauert die Entscheidung gegen die Ferndorftal-Umgehungen: „Da muss man noch mal kreativ ran“ — bei der Trassenfindung. Denn fest stehe, dass ortsferne Trassen in der Kammlage nicht finanziert werden. „Wir wussten, dass das der komplizierteste Abschnitt ist.“ Dass die B-62-Abschnitte zwischen Kronprinzeneiche und Erndtebrück, die nun im Rahmen einer „Erhaltungsmaßnahme“ ausgebaut werden, gar nicht mehr vom Bedarfsplan vorkommen, trifft auf Kaufmanns Widerspruch: „Ich bin nach wie vor überzeugt, dass eine Ortsumgehung Lützel möglich ist.“

„Ich hätte mir gewünscht, dass wir die Erschließung des Wittgen­steiner Raums besser hinbekommen“, sagt André Jung, CDU-Fraktionschef in Hilchenbach und Vorsitzender des Kreistags-Verkehrsausschusses. Stadt und Kreis, so sein Wunsch, sollten sich im anstehenden Beteiligungsverfahren für die nicht berücksichtigten Umgehungen stark machen.

„Verzichtbar und unwirtschaftlich“
Die entgegengesetzte Meinung vertreten die Grünen. „Die Straße ist verzichtbar und unwirtschaftlich“, sagt Günter Jochum, Vorsitzender der Kreuztaler Ratsfraktion und der Kreistagsfraktion der Grünen. Dass immer noch eine Planung ermöglicht werde, stimmt Jochum misstrauisch. „Planungsrecht ist dehnbar. Ich hatte die Hoffnung, die Straße kommt gar nicht erst in den Bedarfsplan.“ Möglicherweise, so Jochums Hilchenbacher Kollege Dr. Peter Neuhaus, könne die von den Grünen auch nicht geliebte Kreuztaler Südumgehung nun schonender trassiert werden, wenn sie nicht mehr für eine Verlängerung über die Kredenbacher und Allenbacher Höhen vorbereitet werden müsse. „Ausgeträumter Traum“, kommentiert Dr. Neuhaus die Einstufung der Ortsumgehungskette, „ich fände es Klasse, wenn dieser Spuk mit der Route 57 jetzt tatsächlich aufhört.“

„Mit einer Stimme sprechen“
Außerhalb des Ferndorftals wird das anders gesehen. Hans-Peter Langer, Verkehrsreferent bei der Industrie- und Handelskammer, bewertet die Priorität für die Südumgehung Kreuztal als „wichtiges Signal für einen Einstieg in die bessere Erschließung Wittgensteins“. „Es gibt einen riesengroßen Anlass, alles dafür zu tun“, sagt Hartwig Durt, 1. Bevollmächtigter der IG Metall, und warnt vor einer etwaigen Abwanderung Wittgensteiner Unternehmen. Landrat ­Andreas Müller will Verkehrs- und Kreisausschuss mit dem Thema befassen und sich mit den Bundestagsabgeordneten Willi Brase (SPD) und Volkmar Klein (CDU) verständigen. Ziel sei es, die Aufnahme der kompletten Ortsumgehungskette in den Bundesverkehrswegeplan zu erreichen: „Die Region muss mit einer Stimme sprechen.“

Das Ende der Route-57-Träume war absehbar — auch wenn sich jetzt Interessenvertreter darin überbieten, im Entwurf des Bundesverkehrswegeplans immer noch positive Signale für die Ortsumgehungskette von Kreuztal nach Wittgenstein zu sehen. Begraben war das Projekt in dem Moment, als es erfunden wurde — in der ewigen Debatte um West-Ost-Achsen, begonnen mit dem „Lückenschluss“ der A 4, als Nachfolger für die so genannte „Bundesfernstraße“ von Kreuztal nach Hattenbach. Denn für die Route 57 als Regionalverbindung nach Wittgenstein konnte kein Gutachter auch nur annähernd die Verkehrsauslastung vorrechnen, die den Straßenbau über Hilchenbach hinaus wirtschaftlich gemacht hätte. Es fehlte eben der Fernverkehr. Was den Förderern des Vorhabens durchaus zupass kam: Niemand sollte die Verkehrslawine auf der Route 57 fürchten.

Ein Weiteres: Der desaströse Zustand der A 45, der in den letzten Jahren offenkundig wurde, machte bald klar, dass der Quasi-Neubau der Autobahn ein Jahrhundertprojekt würde, der weder den Geldgebern noch den Ingenieuren Raum für andere Großprojekte lassen würde. Eine Südumgehung in Kreuztal, eine ertüchtigte B 62 nach Wittgenstein, eine neue A 45, ausgebaute Bahnstrecken – damit erreicht die Region eine ganze Menge. Route 57? Es gibt Wichtigeres.