Ferndorfer und Brandwein

Die Ferndorfer, der Branntwein - und überhaupt

Im Buchladen des Franziskanerklosters Kreuzberg in der fränkischen Rhön fand ich vor zwei Jahren in einer Schrift über die Reformation folgenden Eintrag, dessen Inhalt hierzulande nicht bekannt zu sein scheint:

„Im nassauischen Kirchspiel Ferndorf sah....der Pastor durch das zunehmende Laster des Alkoholmißbrauchs das Ansehen der lutherischen Kirche gefährdet, gerade gegenüber den Katholiken aus WestfalenFremde leut auß Westfalen sprechen: Es ist nun das weihe waßer in euren Kirchen abgestellt; Itzt weihet man sich am Sonntag mit gebrantem wein." [1] Die „programmatische Kirchenzucht“ und viele Verbote konnten nur langfristig Änderungen schaffen.

Es war wohl der von 1555 bis 1574 in Ferndorf amtierende Pfarrer Mag. Jacob Beer (Ursinus), der hier zitiert wird, denn auch auf dem Visitationstag im August 1570 in Ferndorf klagte der Pastor  „daß viel in der kirchen vnder der Predigt auß- und einlaufen, draußen schwätzen oder in denen Wirthshäusern zechen....Solche Clage ruht vff Warheit und kann das gesambte kispel dem Pfarrer bezeuegn, daß er solche Vntugen fleißig gerügt.... [2]

Im Jahr 1578 wurde auf einer Synode in Dillenburg eine von dem reformierten Theologen Christoph  Pezel verfasste Bekenntnisschrift beschlossen, 1581 der Heidelberger Katechismus eingeführt. Ein Jahr später wurden Presbyterien eingerichtet. Die Grafschaft Nassau war reformiert geworden. Von 1576 bis 1621 waltete Pastor Johann Georg Stoever seines Amtes als erster evangelisch- reformierter Kirchspielspfarrer. Auch in den nachfolgenden Jahren musste die gräfliche Landesregierung durch Kirchenabkündigungen auf mancherlei Unsitten, auch während und nach der Predigt, vorgehen.

Auf eine Kirchenrechnung von 1592 beschreibt Pastor Stoever  auf originelle Weise die Zustände Ende des 16. Jahrhunderts: „Das Volck ist dermalen so vngeschliffen/ daß es offt gefährlich ist/ ihm zu trauen. Solltes tu diesen trügerischen glauben können/ wahn du auff seiner Zunge schwartze Haare oder in seiner flachen Handt Borsten erblickest.

Von Stoever ist auch der Ausspruch überliefert:
Frommen und treuen Predigern und Dienern Gottes ist jedermann Feind, darum:
   1. daß sie einem Herrn dienen, den niemand sieht,
   2. daß sie von solchen Dingen reden und predigen, die niemand glaubt,
   3. 
daß sie die Sünden strafen, die jedermann gern tut,
   4. 
daß sie selig reden jeden, wie er gern hätte,
       nicht mögen wollen und können preisen.“

Natürlich sind die Ferndorfer heute ganz anders. Wird das etwa bestritten?

                                                                        Erhard Krämer 2012

Anmerkungen:
1. Schmidt, Sebastian, Was stimmt?  Reformation,  Freiburg 2007, S. 120.    Ders.: Glaube, Herrschaft, Disziplin , Konfessionalisierung  und Alltagskultur in den Ämtern Siegen und Dillenburg (1538-1693), S. 192f., Paderborn 2005. (SIEGERLAND Band 88, S. 12).  Dr. phil. Sebastian Schmidt lehrt Neuere Geschichte in Trier.  

2. Engelbert, Hermann, Hinterhüttsche Chronik, Kreuztal 1994, S. 34f., vgl. auch: Krämer, Erhard, Kirche im Dorf, Kreuztal 1998, S. 10f. u. S. 45f.