09.02.2013

Projekt Wortrettung

Ferndorf - Senioren aus dem Ort halfen dabei, die dörfliche Mundart zu konservieren. Im Siegerländer Sprachatlas bleibt Ferndorf nun doch kein weißer Fleck.

nik  -  Erntezeit in Ferndorf. Vor einem Haus wird Stangenholz abgeladen. Das meint zumindest ein ahnungsloser Fremder, der zufällig des Weges kommt. Sich nichts dabei denkend, bleibt er stehen und fragt; „Stangenholz für den Winter?“ „Dormel", kriegt er da zu hören, „dat es kääng Stangeholz, dad es Korn! So Halme ha mer dad Joahr! Mer mosse se änzeln noa heim fahrn wee Schiielholz!“ Ziemlich uncharmant, was sie ihm da an den Kopf geschmissen haben, dem ahnungslosen Auswärtigen. Aber vielleicht hat er ja auch gar nicht verstanden, dass sie ihn einen Dummkopf schimpften, denn ehrlich - wer nicht von hier ist, der versteht nur Bahnhof, sobald der Siegerländer in den „Platt-Modus“ schaltet.

Schade aber, dass auch immer weniger Einheimische die alten Dialekte beherrschen, die schon von Ort zu Ort sehr verschieden sein können. Das Projekt Siegerländer Sprachatlas („SiSal“) hat sich dem angenommen (s. unten). Prima, sagte man sich da in Ferndorf, da sind wir doch dabei! Aber Pustekuchen; Das „SiSal“-Team ging bei der Auswahl seiner Orte nach einem bestimmten Muster vor. Vereinfacht ausgedrückt: Eine Art Gitter wurde über die Landkarte des Siegerlandes gelegt, und Ferndorf fiel durchs Raster. Damit war man dort natürlich überhaupt nicht einverstanden. Denn erstens hält man in einem der nachweislich ältesten Orte des Siegerlandes etwas auf sich und seinen Dialekt, und zweitens weiß man auch dort: Wird das örtliche Platt nicht auf irgendeine Art und Weise bewahrt, verschwindet es von der kulturhistorischen Landkarte. Also wandte sich der Verein zur Pflege der Dorfgemeinschaft trotzdem an die Uni Siegen, denn, wie Katrin Stein, Leiterin des Arbeitskreises Ortsgeschichte, erzählt, „wir wollten sowas schon lange gemacht haben“. Doch was fehlte, war die Zeit. Was aber zunächst auch noch fehlte, war das Geld, denn das „SiSal“-Team erklärte sich zwar bereit, Ferndorf in den Sprachatlas aufzunehmen - weil für das Projekt aber lediglich ein Budget für 30 Orte zur Verfügung stand, mussten die Ferndorfer die Kosten aber selber tragen.

Da kam es ihnen sehr zupass, dass sie von der Bürgerstiftung Kreuztal mit 1000 Euro bedacht wurden (die Siegener Zeitung berichtete). Somit waren die Mittel gesichert, der Sprachatlas erfahrt eine zusätzliche Erweiterung, und auch die Ferndorfer selbst profitieren davon. Gestern rückte Petra Solau-Riebel vom Projektteam an, im Gepäck ein Aufnahmegerät, gut 700 Begriffe und außerdem viele Bilder. Dann kamen Manfred „Podi“ Belz, Ulrich Stein und Christel Scheffe, drei zuvor vom Redaktionsteam der Ferndorfer Internetseite ausgewählte Senioren, zum Einsatz. Denn wer außer den älteren Ferndorfern kennt sie noch, Worte wie „Perdsbrömmler“ (Mistkafer) und „Muhldenger“ (Mundharmonika)?

„Was liest man morgens?“ möchte Solau-Riebel wissen. „De Ziering" lautet die einzig mögliche Antwort - die Zeitung natürlich! „Und was putzt man sich morgens?“ - „De Ziern!“ Ein Bauer ist ein „Buur“. Und wer hilft dem Bauern? Eigentlich ja der Knecht, aber „Perd“ ist auch nicht verkehrt Es sind Bilder und Begriffe aus dem Leben, die Petra Solau-Siebel abfragt, und aus manchem scheinbar simplen Wort entspinnt sich eine lebhafte Diskussion. Als es um die Anatomie des Beines geht, wird Christel Scheffe resolut: „Schinnbäang - annersch ka ma da nix zo säh!" „Und wenn das Kind nichts weiß in der Schule, dann - „   bliewt et im Endeffekt setze!“, beendet Ulrich Stein den Satz. „Und was heißt „Dieser Berg ist hoch?“, fragt die Sprachwissenschaftlerin. Christel Scheffer schaut ein wenig verständnislos. „Dad es en hoher Berch." Schließlich würde man sich in Ferndorf doch nicht hinstellen und sagen: „Der Berch es hoch!“

Richtig kompliziert wird es, als die Insekten an die Reihe kommen. Da muss man sich erst einmal auf die jeweilige Art einigen, bevor es an die Vokabeln geht; Ist das nun eine Laus oder ein Floh da auf dem Bild? Und wie lautet die Mehrzahl von Mücke? Die Antwort ist so einfach wie einleuchtend: „En Mückeschwarm!“

Petra Solau-Siebel wird einige neue Erkenntnisse mitgenommen haben an diesem Tag in Ferndorf. Für die drei Senioren ist die Arbeit aber noch nicht beendet. Denn da man sie nun schon verpflichtet hat, können sie auch gleich noch ein paar Anekdoten einlesen. Nicht für die Uni, sondern für die Internetseite www.femdorf de.

Hier wird der Verein zur Pflege der Dorfgemeinschaft, technisch federführend Olaf Schröder, eine Möglichkeit finden, die Ergebnisse aus dem Sprachatlas-Projekt und die Geschichten auf Platt einzupflegen, und das nicht nur zum Nachlesen. „Wir werden unsere Seite so umstricken, dass man sich das auch anhören kann“, sagt Katrin Stein, und einen Link zum Sprachatlas wird es auch geben. Dass sich auch dank dieser interaktiven Herangehensweise mehr junge Leute aus dem Ort dafür interessieren könnten, die alte Mundart wieder aufleben zu lassen, darüber macht sich Stein aber keine Illusionen; „Das ist für mich reine Konservierung.“ Nun gilt es für Uneingeweihte aber noch aufzulösen, warum die Ferndorfer, die zumindest in dieser kleinen Geschichte nicht mit übertriebener Bescheidenheit glänzen, den armen Fremden als „Dummkopf“ bezeichnet haben: „Das ist kein Stangenholz, das ist Korn! Solche Halme haben wir dieses Jahr! Wir müssen sie einzeln nach Hause fahren. wie Schälholz!“

Der Sprachatlas
Das Projekt Siegerländer Sprachatlas („SiSal“) unter der Leitung von Prof, Dr. Petra M. Vogel von der Uni Siegen möchte alte Dialekte sammeln und sortieren, herausfinden, welche Veränderungen besonders der Siegerländer Zungenschlag aufweist und wie er sich von benachbarten Dialekten unterscheidet. Der älteste in verschiedenen Orten gesprochene Dialekt soll erhoben, in Ton und Schrift aufgezeichnet und wissenschaftlich analysiert werden. Die endgültige Dokumentation wird es zum Anhören und Ansehen im Internet und als Buch geben.